"Durch diese hohle Gasse muss er kommen…"

Dieser bekannte Satz aus Schillers „Wilhelm Tell“ scheint wieder Bedeutung zu erlangen, denn seit dem 01.01.2017 ist das Bilden einer Rettungsgasse in der StVO gesetzlich geregelt. Doch scheinbar gibt es bei vielen Verkehrsteilnehmern noch erhebliche Unsicherheiten. Rechtsanwalt Dr. Andreas Hatz, Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn beantwortet einige wesentliche Fragen rund um das Bilden einer Rettungsgasse.

In § 11 (Besondere Verkehrslagen) Abs. 2 ist vorgeschrieben, dass bei „Schrittgeschwindigkeit“ oder „Stillstand“ eine Rettungsgasse gebildet werden muss:

„Sobald Fahrzeuge auf Autobahnen sowie auf Außerortsstraßen mit mindestens zwei Fahrstreifen für eine Richtung mit Schrittgeschwindigkeit fahren oder sich die Fahrzeuge im Stillstand befinden, müssen diese Fahrzeuge für die Durchfahrt von Polizei- und Hilfsfahrzeugen zwischen dem äußerst linken und dem unmittelbar rechts daneben liegenden Fahrstreifen für eine Richtung eine freie Gasse bilden.“

Dabei ist Schrittgeschwindigkeit diejenige Geschwindigkeit, welche einer gehenden Person mit etwa 7 – 10 km/h entspricht.

Welche Strafen gibt es bei Nicht- Bilden?
Das vorsätzliche Behindern von Rettungskräften ist zwar seit 30.05.17 ein eigener Straftatbestand, der in § 323c StGB (Unterlassene Hilfeleistung, Behinderung von hilfeleistenden Personen) eingefügt wurde/normiert ist:

1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.

(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.

Problem: Diese Strafverschärfung, die auf einen Vorschlag des Bundesrats zurückgeht, betrifft allerdings nur vorsätzliche Verstöße. Aber auch fahrlässiges Verhalten von Verkehrsteilnehmern gefährden Menschenleben, daher müssten die Sanktionen auch im Ordnungswidrigkeitsbereich deutlich erhöht werden.

Darf der Standstreifen mit befahren werden?

Grundsätzlich nicht, dieser ist generell freizuhalten und darf nur im absoluten Notfall oder wenn dieser ausdrücklich durch Beschilderung oder die Polizei freigegeben wurde entsprechend befahren werden.

Wie muss man sich beispielsweise in einer Baustelle verhalten, wenn rechts und links kein Platz zum Ausweichen ist?

In Baustellen kann es mitunter unmöglich sein eine Gasse zu bilden. In solch einem Fall empfiehlt sich, dass man zum Vordermann versetzt und mit ausreichend Abstand fährt oder nur einen Fahrstreifen befährt, sodass der andere Fahrstreifen für Rettungskräfte frei ist. Ansonsten sollten Ausweichbuchten und Grünstreifen falls möglich mitbenutzt werden.

Welche Probleme gibt es bei der Strafverfolgung?

Zunächst einmal spielt der Personalmangel im öffentlichen Dienst eine große Rolle, ebenso die Beweisbarkeit, aber auch oft die einsatzbedingte (es muss schnell gehen, für eine Feststellung ist kaum Zeit, vorrangig ist das Vorankommen zum Verkehrsunfall) oder auch technisch schwierige Umsetzung (Videoaufnahmen des Verstoßes als auch des Fahrzeugführers)

Wen sehen sie in der Verantwortung?

Sowohl Politik als auch jeden einzelnen Verkehrsteilnehmer.

Können einzelne Politiker oder die Regierung zu einer Lösung beitragen?

Wie ersichtlich wurde bereits durch die Politik gehandelt. Weiterer Handlungsbedarf besteht jedoch nach wie vor.

Wie schätzen Sie die Wirklichkeit ein und wünschen sie sich an Aufklärungskampagnen?

Hier vertrete ich die Meinung, dass Normen mit einer Strafandrohung dann nicht zielführend sind, sondern sogar noch gegenteilig wirken („es passiert ja sowieso nichts…“) wenn nicht entsprechende Kontrollen stattfinden. Dies dürfte wiederum angesichts der teilweise desolaten Personalstruktur der betroffenen Behörden ziemlich wahrscheinlich sein.

Ein weiteres Problem im konkreten Fall ist die bereits beschriebene Beweisbarkeit im Einzelfall. Hier empfehlen sich z.B. Videoaufnahmen, die aber auch nur bedingt weiterhelfen (zum Beispiel wenn sich der Fahrer der Identifizierung durch Wegdrehen entzieht). Eine weitere Problematik in der Durchsetzbarkeit sehe ich in der oft nicht vorhandenen tatsächlichen Möglichkeit, eine solche Gasse zu bilden, die oft situationsbedingt dadurch entsteht, wenn die Fahrzeuge abrupt zum totalen Stillstand kommen und in dieser Position Stoßstange an Stoßstange stehen (auch bis zum Eintreffen der Rettungkräfte).

Darüber hinaus scheint sich vielerorts die Verpflichtung zum Bilden einer solchen Gasse und wenn, wie eine solche zu bilden ist nicht hinreichend herumgesprochen zu haben. Die bundesweit geplanten einheitlichen Beschilderungen und der Einsatz von Infotafeln sowie Piktogrammen in denen auf die Bedeutung von Rettungsgassen hingewiesen werden soll, ist sicher einer von vielen Wegen, hier eine Verbesserung zu erzielen. Möglicherweise wären auch sogenannte Schockvideos, in denen vermittelt wird, dass auch Sekunden, die durch das Verhalten eines einzelnen Verkehrsteilnehmers verloren gehen zu Minuten führen, die weiter vorne einem Menschen das Leben kosten können.

Leider ist es auch so, dass größere Einsatzfahrzeuge oftmals nicht ausreichend Platz haben um die Rettungsgasse zu passieren. Eine Überlegung wäre, ob vielleicht nicht nur der Ausbau von Schnell- und Sonderzufahrtswegen, sondern auch der Einsatz von sog. Rettungstoren z.B. in der Mittelleitplanke ein gangbarer Weg wäre. Das Thema bleibt sowohl in Rechtsprechung als auch in Politik weiter aktuell. Es bleibt abzuwarten, was weiter umgesetzt werden kann.

Autor

Dr. Andreas Hatz
Rechtsanwalt

Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn