Insolvenzrecht: Aufrechnungslage und Inkongruenz

Mit Insolvenzanfechtungen durch den Insolvenzverwalter sehen sich Gläubiger insolventer Unternehmen häufiger konfrontiert. Der Bundesgerichtshof hat sich in einer Entscheidung mit einer Anfechtbarkeit bei Herstellung einer Aufrechnungslage befasst. Danach führt die Herstellung einer Aufrechnungslage alleine nicht zur Inkongruenz und damit Anfechtbarkeit, weil die Aufrechnungsbefugnis in den letzten drei Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründet wurde (BGH, Urteil vom 8. Dezember 2022 –  IX ZR 175/21).

Anders als im Falle der Einzelzwangsvollstreckung tritt dem BGH zufolge die Befugnis des Gläubigers, sich in der kritischen Zeit durch Aufrechnung zu befriedigen, nicht hinter den Schutz der Gläubigergesamtheit zurück.

Zwar kommen die Rechtsfolgen einer Aufrechnung im wirtschaftlichen Ergebnis einer (Einzel-)Zwangsvollstreckung gleich (vgl. BGH, Urteil vom 11. Februar 2010 – IX ZR 104/07). Die Aufrechnung unterliegt jedoch eigenständigen insolvenzrechtlichen Regelungen (§§ 94 ff InsO).

Insbesondere werde eine zur Zeit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bestehende Aufrechnungslage durch das Verfahren im Grundsatz nicht berührt (vgl. § 94 InsO). Im Gegensatz zur Einzelzwangsvollstreckung sei daher die Annahme einer durch den Anfechtungstatbestand des § 131 InsO vermittelten Vorwirkung des Grundsatzes der Gläubigergleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Die Inkongruenz der Einzelzwangsvollstreckung beruhe auf den vom Gläubiger in Anspruch genommenen hoheitlichen Zwangsmitteln (BGH, Urteil vom 10. Februar 2005 – IX ZR 211/02, BGHZ 162, 143, 149).

Was ist der Grundgedanke der Insolvenzanfechtung?

Im Gegensatz zum Prioritätsprinzip der Einzelzwangsvollstreckung gilt im Insolvenzrecht der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Gläubiger, § 1 InsO.

Zweck der insolvenzrechtlichen Anfechtung gemäß §§ 129 ff. InsO ist es, sachlich ungerechtfertigte Verschiebungen des Vermögens, die die Insolvenzmasse verkürzt haben, rückgängig zu machen, Hier soll die Masse wieder hergestellt werden, die den Gläubigern bei rechtmäßigem Verhalten des Schuldners und bei einer rechtzeitigen Antragstellung zur Verfügung gestanden hätten.

Falls die Insolvenzanfechtung zu Recht erfolgte, führt dies aus Sicht des Gläubigers zu ungerecht empfundenen Ergebnissen, da der Gläubiger zwar eine Leistung für den Schuldner erbracht hat, z.B. Warenlieferung oder Dienstleistung, die empfangene Gegenleistung des Schuldners, also  die Zahlung aber nicht behalten darf, sondern an den Insolvenzverwalter abführen muss. Häufig bleibt dann am Ende, wenn überhaupt nur eine bescheidene Zahlung durch den Insolvenzverwalter im Rahmen der Insolvenzquote.

Wie soll man reagieren, wenn man als Gläubiger Post vom Insolvenzverwalter bekommt?

Sie haben ein solches Aufforderungsschreiben erhalten? Wir empfehlen eine Prüfung der vermeintlichen Forderung des Insolvenzverwalters durch einen auf das Insolvenzrecht spezialisierten Anwalt. Kompetente Ansprechpartner stehen Ihnen in unserem Haus zur Verfügung.

Nicht selten wird der Insolvenzverwalter den Gläubiger in einem solchen Schreiben unter Fristsetzung zur Rückzahlung von Leistungen auffordern, die der Gläubiger vom Insolvenzschuldner kurz vor der Insolvenz noch erhalten hat. Der Insolvenzverwalter stützt sich hierbei regelmäßig auf eine Insolvenzanfechtung gemäß §§ 129 ff. Insolvenzordnung (InsO). In der Praxis kommen die Anfechtung wegen

  • kongruenter Deckung (§ 130 InsO)
  • inkongruenter Deckung (§ 131 InsO) und
  • Vorsatzanfechtung (§ 133 InsO)


besonders häufig vor. Diese Zahlungsaufforderung wird in der Regel mit einer Zahlungsfrist verknüpft.

In vielen Fällen erhält der Insolvenzverwalter durch den Gläubiger selbst durch unbedacht weitergeleitete Informationen, Mitteilungen oder eine Forderungsanmeldung überhaupt erst Kenntnis von gegebenenfalls anfechtbaren Zahlungen.

Nicht zu reagieren oder eine unbedachte Stellungnahme abzugeben ist hingegen kein guter Ratgeber. Häufig flattert dem Gläubiger dann wenig später die Zahlungsklage ins Haus. Wir empfehlen stattdessen, das Schreiben anwaltlich prüfen zu lassen, damit entschieden werden kann, ob und wie auf das Schreiben des Insolvenzverwalters zu reagieren ist. In den Fällen, in denen die Argumentation des Insolvenzverwalters rechtlich auf wackligen Füßen steht, kann die Sache auch häufig durch die Zahlung eines Vergleichsbetrages an den Insolvenzverwalter aus der Welt geschafft werden.

Wie kann man das Risiko einer Insolvenzanfechtung reduzieren?

Heikel wird es immer dann, wenn Sie feststellen, dass der Kunde nicht, verspätet oder nur schleppend zahlt: wenig bis nicht geeignet sind regelmäßig das Schreiben eindringlicher Mahnungen bis hin zum Androhen eines Insolvenzantrags oder die Drohung mit Lieferstopps. Denn dann besteht ein hohes Risiko im Falle einer Insolvenz die vom Schuldner auf Druck geleisteten Zahlungen an den Insolvenzverwalter zurückzahlen zu müssen.

Zwar gibt es keine eierlegende Wollmilchsau. Es gibt aber erprobte Instrumente, um das in Ihrem Unternehmen und gegebenenfalls branchenspezifisch bestehende Risiko einer Insolvenzanfechtung zu reduzieren.

Die Schulung und das Sensibilisieren der Mitarbeiter, beispielsweise im Vertrieb gehört hierzu. Problematische Vertragsverläufe mit Kunden sollten rechtzeitig identifiziert und entsprechend behandelt werden.

Die Erfahrung zeigt, dass die Gläubiger häufig besser fahren, die mit dem Schuldner sparsam kommunizieren.  Hierzu muss man sich vor Augen führen, dass der Insolvenzverwalter zur Gewinnung von Informationen auf eine Vielzahl von Quellen zurückgreifen kann, um anfechtbare Rechtshandlungen aufzudecken. Zielsetzung des Insolvenzverwalter ist es hierbei, möglichst viel Masse zu generieren, um die Gläubiger des Insolvenzverfahrens bestmöglich zu befriedigen, also eine möglichst hohe Insolvenzquote zu erreichen. Neben Kontoauszügen und Verträgen gehören auch der Schriftwechsel zwischen dem Schuldner und dem Gläubiger einschließlich Mahnungen, Gerichtsdokumenten und Vollstreckungsunterlagen zu wichtigen Informationsquellen des Insolvenzverwalters.

Wenn das Risiko eines Zahlungausfalls bei einzelnen Kunden dann doch zu groß wird, muss auch eine insolvenzfeste Beendigung eines Vertragsverhältnisses als letztes Mittel in Erwägung gezogen werden.

Rückfragen? Beantworten wir gerne persönlich.

Pfefferle Helberg & Partner mit Sitz in Heilbronn unterstützt Unternehmen und Privatpersonen mit seinem Team  aus erfahrenen Spezialisten rund um den geschäftsführenden Partner und Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht Harry Kressl sowie den ebenfalls schon über 10 Jahre auf das Insolvenzrecht spezialisierten Wirtschaftsjuristen Sven Schäffer.

Eine Restrukturierung des Unternehmens, sei es durch Verhandlungen mit institutionellen Gläubigern, den Mitarbeitern oder den Gesellschaftern verlangt eine durchdachte Lösungsstrategie und deren konsequente Umsetzung. Eine integrierte Unternehmensplanung und detaillierte Kenntnisse aller insolvenzrechtlichen Aspekte ist hierfür zwingende Voraussetzung. Dabei sind auch arbeitsrechtliche und strafrechtliche Gesichtspunkte zu beachten. Eventuell bietet sich auch die Suche nach einem strategischen Investor im Rahmen eines M&A Prozesses an.

Ihr Fachanwalt für Insolvenz- und Sanierungsrecht, Wirtschaftsmediator und sein Team haben hierfür das notwendige Rüstzeug, um Sie sicher durch diese Untiefen zu führen.

Zu den Leistungen unserer Anwälte gehört auch die Prüfung, Abwehr bzw. Durchsetzung von Ansprüchen des Insolvenzverwalters, insbesondere auch die Insolvenzanfechtung betreffend.

Autor

Michael Englert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn