EuGH: kein Wertersatz für Handwerker ohne Widerrufsbelehrung

Eine aktuelle Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs unterstreicht nochmals die Aufklärungspflichten des Unternehmers gegenüber dem Verbraucher zum Widerrufsrecht bei Hautürgeschäften. Der betroffene Handwerker hatte in dem Fall zwar Leistungen erbracht, hierfür aber keinerlei Vergütungsanspruch, da keine Aufklärung gegenüber dem Verbraucher erfolgte (EuGH, Urteil vom 17. Mai 2023 – C-97/22 –, juris).

Sachverhalt

Der vom Europäischen Gerichtshof zu entscheidende Fall hatte folgenden Ausgangspunkt:
 
Am 6. Oktober 2020 schloss Verbraucher V mit einem Handwerksunternehmen mündlich einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses. Das Unternehmen klärte den V nicht über sein Widerrufsrecht nach Art. 246a EGBGB auf.
 
Nachdem das Unternehmen seine Leistungen erbracht hatte, rechnete es hierüber am 21. Dezember 2020 ab und legte dem V die Rechnung vor.

V weigerte sich, zu zahlen. Am 15. März 2021 trat das Handwerksunternehmen sämtliche Ansprüche aus diesem Vertrag an DC ab.

Der Verbraucher erklärte am 17. März 2021 den Widerruf des Vertrages. DC erhob beim Landgericht Essen (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Vergütung der vom Handwerksunternehmen erbrachten Dienstleistung.

DC vertrat die Auffassung, das abtretende Handwerksunternehmen habe trotz des Widerrufs des Verbrauchers einen Anspruch auf diese Zahlung.

Zwar lägen die Voraussetzungen des § 357 Abs. 8 BGB nicht vor. Der Ausschluss eines solchen Anspruchs aufgrund der Verletzung der dem betreffenden Unternehmer obliegenden Informationspflicht würde aber unter Verstoß gegen den 57. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 eine „unverhältnismäßige Sanktion“ zulasten des Handwerkers darstellen.

Der Verbraucher macht seinerseits geltend, dass DC keinen Anspruch auf Vergütung der Dienstleistung habe. Das abtretende Handwerksunternehmen habe es unterlassen, ihn über sein Widerrufsrecht zu unterrichten, die in Erfüllung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags erbracht worden sei.

Das vorlegende Landgericht Essen fragte sich, ob jeglicher Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausschlossen ist, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags ausgeübt und damit unter Verletzung des vom Gerichtshof als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannten Verbots ungerechtfertigter Bereicherung einen Vermögenszuwachs erlangt hat.

Das Landgericht Essen hat dann beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem EuGH zwecks Auslegung des Art. 14 Abs. 5 der Richtlinie 2011/83 zur Vorabentscheidung vorzulegen.

Entscheidung

Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass dem Handwerker in diesem Fall keinerlei Vergütungsanspruch zusteht, auch nicht ein Wertersatz für die dem Kunden zugeflossene Vermögensmehrung.

Dem EuGH zufolge sei ein Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. a Ziff. i nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

Der hohe Rang des Widerrufsrechts für den Schutz der Verbraucher rechtfertige keine andere Auslegung.

Hinweis

Der Handwerker geht trotz tadellos erbrachter Leistungen vollständig leer aus. Der Elektriker hat also „gratis“ gearbeitet. Da Haustürsituationen mit Verbrauchern gerade bei Handwerkern und Dienstleistern immer wieder vorkommen, sollten sich die Unternehmer für solche Situationen im Vorfeld wappnen, in dem sie den Verbraucherkunden über ein Widerrufsrecht ordnungsgemäß belehren. 

Beispiel: der Handwerker nimmt vor Ort beim Kunden Aufmaß und vereinbart anschließend beim Kunden einen mündlichen Vertrag. In einem solchen Fall muss der Handwerker den Verbraucher rechtzeitig und umfassend über dessen Widerrufsrecht belehren. Ab diesem Zeitpunkt steht es dem Kunden frei, den Vertrag 14 Tage lang zu widerrufen, ohne dies begründen zu müssen.

Mit Leistungen sollte dann auch erst begonnen werden, wenn das Widerrufsrecht nicht mehr ausgeübt werden kann, z.B. nach Ablauf der Widerrufsfrist oder wenn der Verbraucher nach erfolgter Widerrufsbelehrung eine Leistung vor Ablauf der 14-tägigen Frist unbedingt und ausdrücklich wünscht.

Der Europäische Gerichtshof hat zwar vorliegend nur zu Haustürgeschäften entschieden. Es ist aber gut möglich, dass er vergleichbare Erwägungen auch für z.B. telefonisch oder per E-Mail abgeschlossene Fernabsatzverträge anstellen würde.

In Einzelfällen, z.B. bei Notfalleinsätzen kann dem Verbraucher bei außerhalb der Geschäftsräume geschlossenen Verträgen ausnahmsweise auch einmal kein Widerrufsrecht zustehen.

Rückfragen? Beantworten wir gerne persönlich.

Wir unterstützen Sie gerne bei der Prüfung, ob und inwieweit Ihr Unternehmen die gesetzlichen Vorgaben zum Widerrufsrecht bereits einhält, insbesondere  Widerrufsbelehrungen gesetzeskonform gestaltet sind und angewandt werden sowie bei der Implementierung ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrungen.

Autor

Michael Englert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn