Nachbarrecht: Streit um Lichtreflexionen durch Solaranlage

Seit Mai 2022 gilt in Baden-Württemberg die Photovoltaik-Plicht für Wohngebäude (Neubauten). Eine Solaranlage kann zum Konflikt mit dem Nachbarn führen, wie ein Urteil des Oberlandesgerichts Braunschweig zeigt.

Das OLG Braunschweig hat entschieden, dass ein Grundstückseigentümer gegen störende Lichtreflexionen einer Solaranlage auf dem Nachbardach nur dann vorgehen kann, wenn er dadurch wesentlich beeinträchtigt wird (OLG Braunschweig, Urteil vom 14.07.2022 – 8 U 166/21).

Sachverhalt

Kläger und Beklagter sind Nachbarn. In Richtung des Wohnhauses des Klägers sind auf dem Hausdach des Beklagten Paneele einer Photovoltaikanlage angebracht. Auch befinden sich auf dem Dach mehrere Dachfenster. Im Jahr 2015 wurde ein weiteres – streitgegenständliches – Dachfenster eingebaut. Der Kläger störte sich an Reflexionen sowohl der Solaranlage als auch des neu eingebauten Dachfensters. Streitig zwischen den Parteien war der Umfang und die Intensität von Reflexionen durch Sonneneinstrahlung auf Paneele und Dachfenster.

Entscheidung

Das OLG Braunschweig hat einen Anspruch auf Unterlassung von Sonnenblendwirkungen verneint. Das Berufungsgericht folgte damit dem Landgericht Göttingen als Ausgangsinstanz.

Ein Unterlassungsanspruch gemäß § 1004 Abs. 1 BGB bestehe nicht. Es handele sich bei den Sonnenblendwirkungen nur um unwesentliche Beeinträchtigungen im Sinne des § 906 Abs. 1 S. 2 BGB.

Nach § 906 Abs. 1 S. 2 und S. 3 BGB liegt eine unwesentliche Beeinträchtigung in der Regel bei Einhaltung von Grenz- und Richtwerten vor, die in Gesetzen, Rechtsverordnungen und bestimmten Verwaltungsvorschriften festgelegt sind. In Gesetzen oder Verordnungen festgelegte verbindliche Richtwerte im Sinne des § 906 Abs.1 S. 2 BGB, deren Überschreitung eine wesentliche Beeinträchtigung indizieren würde, bestünden für Reflexionen durch Sonneneinstrahlung nicht.

Die von Klägerseite vorgelegten „Hinweise zur Messung, Beurteilung und Minderung von Lichtimmissionen“ der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft für Immissionsschutz (LAI)“ vom 13.09.2012 würden zwar Richtwerte angeben, bei deren Überschreitung es zu einer erheblichen Belästigung im Sinne des Bundesimmissionsschutzgesetzes (BImSchG) komme.

Soweit sich die LAI im Anhang 2 mit der Minderung der Blendwirkung von Photovoltaikanlagen befasst, betreffe dies Empfehlungen zur Ermittlung, Beurteilung und Minderung der Blendwirkung von großflächigen Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren.

Die LAI- Hinweise hätten zudem weder normativen noch quasinormativen Charakter. Insbesondere enthalten sie keine Grenz- oder Richtwerte im Sinne von § 906 Abs. 1 S. 2 und 3 BGB.

Maßstab für die Frage, ob eine Beeinträchtigung noch unwesentlich oder bereits wesentlich ist, ist nach ständiger Rechtsprechung das Empfinden eines verständigen Durchschnittsmenschen und dem, was ihm unter Würdigung anderer öffentlicher und privater Belange zuzumuten ist (grundlegend BGH, Urteil vom 20.11.1992 – V ZR 82/91, NJW 1993, 925).

Das Berufungsgericht hat sich in seinem Urteil sehr umfangreich mit den Ausführungen des Sachverständigen auseinandergesetzt.

Im konkreten Fall hatte der vom Landgericht Göttingen bestellte Sachverständige unter anderem festgestellt, dass die Reflexionen an nur 60 Tagen und für weniger als 20 Stunden jährlich wahrnehmbar sind. Hierzu wurden Wetterdaten der Jahre 2017 bis 2019 ausgewertet.

Das OLG Braunschweig wertete die Feststellungen des Sachverständigen als überzeugend. Die Datenbasis seiner statistischen Analyse für den Wohnort der Klägerin sei aussagekräftig.

Praxishinweise

Nicht zuletzt aufgrund der Energiekrise wird die Bedeutung von Photovoltaikanlagen in den kommenden Jahren weiter zunehmen, gerade im Wohnsektor.

Laut Angaben des Statistischen Bundesamtes waren im März 2022 auf Dächern und Grundstücken bereits 2,2 Millionen Photovoltaikanlagen mit einer Nennleistung von rund 58,4 Gigawatt installiert (Pressemitteilung Nr. N 037 vom 21. Juni 2022, abrufbar auf www.destatis.de). Tendenz steigend.

Damit steigt auch statistisch gesehen das Konfliktpotential in der Nachbarschaft.

Es ist eine Frage des konkreten Einzelfalls, ob eine Solaranlage auf Nachbars Dach durch Lichtreflexionen zu einer wesentlichen Beeinträchtigung der Nutzung des eigenen Grundstücks führt.

Wann Immissionen im Einzelfall die Schwelle zur Wesentlichkeit überschreiten, unterliegt einer tatrichterlichen Wertung. Hierbei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere im Hinblick auf die Dauer der Blendungen, die Intensität der Lichtreflexe und die konkreten Auswirkungen auf die Nutzung des Nachbargrundstücks (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 13.12.2013 – 9 U 184/11).

Im Falle eines Nachbarstreits wird ein Gericht zur Frage, ob konkret eine wesentliche Beeinträchtigung vorliegt, dabei in erster Linie auf die Expertise eines Sachverständigen zurückgreifen. Weiter spielt für die rechtliche Beurteilung eine Rolle, ob es sich um überschaubare Solaranlagen im Wohnbereich oder großflächige Freiflächen-Photovoltaikanlagen im Rahmen von Baugenehmigungsverfahren handelt.

Autor

Michael Englert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn