Höhere Streitwerte für Amtsgerichte und Rechtsmittel ab 1.1.2026
Die Streitwertgrenze für die erstinstanzliche Zuständigkeit wird auf 10.000,00 Euro angehoben.
Bisher gilt für die erstinstanzliche Zuständigkeit grundsätzlich eine Streitwertgrenze von 5.000,00 Euro.
Im Gleichschritt zur Streitwerterhöhung wird auch die Grenze des Anwaltszwangs auf 10.000,00 Euro angehoben.
Hintergrund
Der Gesetzesänderung lag die Annahme zugrunde, dass die Zivilverfahren bei den Amtsgerichten in den vergangenen Jahrzehnten rückläufig waren. Hierdurch drohte eine Schließung von Amtsgerichten sowie Abbau von Stellen. Durch die Anhebung des Streitwerts soll die Bedeutung der Amtsgerichte gestärkt und der Zugang zum Recht für den Bürger verbessert werden. Durch die Streitwertanpassung sollen zudem Landgerichte entlastet werden, die durch eine wachsende Zahl von komplexen Strafverfahren an ihre Belastungsgrenzen stoßen. Die Anpassung der Streitwertgrenze bildet rein mathematisch betrachtet die Inflation ab, da sich der Wert von 5.000,00 Euro über viele Jahre nicht verändert hatte.
Kurzfristige Umsetzung
Es bleibt abzuwarten, wie sich ab dem 1.1.2026 die Eingangszahlen sowie die durchschnittliche Verfahrensdauer bei den Amtsgerichten entwickeln werden. Das Inkrafttreten zum 1.1.2026 erscheint auf jeden Fall sportlich, da sich die Frage stellt, ob und inwieweit die Landesjustizministerien kurzfristig für eine personelle Verstärkung der Amtsgerichte im Hinblick auf die gewünschten wachsenden Fallzahlen sorgen können. Mögen sich die Eingangszahlen in der Vergangenheit bei Amtsgerichten rückläufig entwickelt haben, so wurde eine daraus resultierende Zeitersparnis aufgrund der von den Richtern zu bearbeitenden häufig komplexeren Fälle und dahinter stehenden Rechtsprobleme aus Sicht des Autors vielfach mehr als kompensiert.
Zugang zu Rechtsmitteln erschwert
Der Zugang zu Rechtsmitteln wird durch die Reform ebenfalls erschwert: so werden Rechtsmittelstreitwerte erhöht. Besonders ins Auge fällt die Änderung bei der Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof, die erst ab 25.000,00 Euro eröffnet wird.
Zu beachten sind Übergangsvorschriften sowie Besonderheiten bei bestimmten Rechtsgebieten. So sind für nachbarrechtliche Streitigkeiten unabhängig vom Streitwert die Amtsgerichte in der I. Instanz zuständig. Denn in diesem Rechtsgebiet spielt die Ortsnähe eine wichtige Rolle. Gerichtliche Ortstermine sind keine Seltenheit.
Weniger Anwälte bei den Amtsgerichten?
Aufgrund der Anpassung der Wertgrenze für den Anwaltszwang ist es naheliegend, dass die Amtsgerichte häufiger als bisher auch mit anwaltlich nicht vertretenen Klägern und Beklagten zu tun haben werden, die sich die „Rechtsberatung“ dann möglicherweise vermeintlich kostensparend und ungeprüft über die künstliche Intelligenz (ChatGPT etc) einholen.
Abgesehen davon, dass Richter bei juristischen Laien als Prozesspartei strengere Hinweispflichten haben und damit ein Mehraufwand in der Verhandlung entstehen könnte, wird in mehr Verfahren der Anwalt als vermittelnde Schnittstelle zwischen Richtern und Bürger fehlen. Zutreffend hat die Bundesrechtsanwaltskammer auf die damit unter anderem verbundene Schwächung des effektiven Rechtsschutzes hingewiesen.
Auswirkungen auf die Digitalisierung?
Zudem werden erste zarte Pflänzchen der Digitalisierung (Einführung elektronische Akte, digitale Kommunikation ) wieder zum Teil zunichte gemacht: anders als bei Anwälten, die im Zuge der Digitalisierung mit den Gerichten schon seit Jahren ausschließlich per besonderem elektronischen Anwaltspostfach (beA) kommunizieren, erfolgt die Korrespondenz des Gerichts mit Parteien ohne Anwalt schriftlich, also rein analog und mit Briefpost. Es dürfte daher bei den Amtsgerichten auch wieder mehr Kopierpapier verbraucht werden. Weitere Medienbrüche, Doppelarbeit und Frust auf den Geschäftsstellen sind da fast schon vorprogrammiert.
Man mag unken, dass dies gar nicht so schlimm ins Gericht fällt, da die eigentlich zum 1.1.2026 geplante flächendeckende Einführung der Gerichtsakte, wie es das Gesetz eigentlich vorgesehen hat, ohnehin verschoben wird. Manche Gerichte und Richter scheinen sich zudem im Analogzeitalter eingerichtet zu haben. Man erinnere sich, bereits 2015 war die Einführung der eAkte das große Zukunftsprojekt. In der Privatwirtschaft wäre eine derart schleppende Umsetzung schlichtweg undenkbar.
Autor
Michael Englert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn