Heimrecht: demenzbedingte Verhaltensauffälligkeiten kein Kündigungsgrund

Ein Heimplatz in einem Seniorenheim kann gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 WBVG nur aus wichtigem Grund gekündigt werden. Das Oberlandesgericht Oldenburg verneinte dies im konkreten Fall (OLG Oldenburg, Urteil vom 28.05.2020 – 1 U 156/19).

Sachverhalt

Die Klägerin, Betreiberin eines Seniorenheims, verlangt die Räumung des von der Beklagten bewohnten Heimzimmers. 

In dem Seniorenheim unterhält die Klägerin eine eigene Demenzabteilung, in der die unter Betreuung stehende Beklagte seit 2015 lebt. Die Beklagte leidet an einer Demenz. Im Jahr 2017 wurde ein neuer Heimvertrag geschlossen.

Im Zuge eines Krankenhausaufenthalts im Jahr 2017 wurde festgestellt, dass die Beklagte durch den Einsatz von Neuroleptika ruhiggestellt war. Diese Medikamente wurden abgesetzt. Der Hausarzt, der die weitere medizinische Betreuung der Beklagten nach der Entlassung und Rückkehr ins Pflegeheim übernahm, verschrieb keine Neuroleptika mehr.

Mit Schreiben vom 03.09.2018 kündigte die Klägerin den Heimvertrag mit der Beklagten.

Zur Begründung wurde ausgeführt, die Beklagte störe seit der neuen Medikation mit ihrem Verhalten den Heimfrieden erheblich. Sie würde gegen den Willen anderer Bewohner in deren Zimmer gehen, laufe ständig herum, auch nachts. Sie mache Fenster in den Bewohnerzimmern auf und zu. Auch wurde der Beklagten vorgeworfen, während der Intimpflege männlicher Bewohner im Heimzimmer diese zu betreten und zuzuschauen. Ausreichende Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme sei auch ein Problem. Zudem zeige die Beklagte ein aggressives Verhalten gegen Mitbewohner und Pflegekräfte. Mitarbeitende werden angeboxt oder ein Bein gestellt, auch bei Heimbewohnern komme das vor. Auch fahre sie Pflegekräfte und Bewohner mit dem Rollator an.

Die Beklagtenseite, vertreten durch die Betreuerin trat der Kündigung entgegen und weigerte sich das Heimzimmer zu räumen. Der Zustand der Beklagten habe sich seit der neuen Medikation verbessert. Das behauptete aggressive Vehalten habe es so nicht gegeben. Etwaige Auffälligkeiten hätten einen demenzbedingten Hintergrund, insbesondere beim Bewegungsdrang. Die Beklagte würde nur selten das Bett verlassen, lediglich zum Mittagessen und zum Nachmittagskaffee.

Entscheidung

Das Oberlandesgericht Oldenburg bestätigte die Entscheidung des Landgerichts Oldenburg und wies die Berufung ab.

Ein Räumungsanspruch bestehe nicht. Ein wichtiger Grund zur Kündigung des Heimvertrages gemäß § 12 Abs. 1 S. 1 Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz (WBVG) liege nicht vor. 

Der Klägerin sei die Fortführung des Heimvertrags im Rahmen einer Interessenabwägung nicht unzumutbar. Hierbei sind die Interessen des Heimbewohners als Verbraucher, einen Umzug und die damit verbundenen Schwierigkeiten zu vermeiden sowie das Interesse des Klägers an dem Loskommen vom Vertrag abzuwägen (Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 25.08.2017 – 30 U 34/17). 

Dem Pflegeheimbetreiber sei bereits bei Abschluss des Heimvertrages die Demenz der Beklagten bekannt gewesen. Hierfür halte die Klägerin auch eine eigene Demenzabteilung vor, bei der es sich um einen geschützten Bereich für Demenzkranke handele und sie dort entsprechend geschultes Personal einsetze.

Verhaltensauffälligkeiten seien nach allgemeiner Lebenserfahrung normal und von der Heimbetreiberin hinzunehmen. Die Grenze zur Zumutbarkeit sei im Falle einer sexuellen Belästigung wehrloser Mitbewohner überschritten und könne dann ein Kündigungsgrund sein. Der Besuch im Heimbewohnerzimmer während der Intimpflege sei aber nicht als sexuelle Belästigung zu werten. Hierbei habe es schon an dem hierfür erforderlichen Körperkontakt gefehlt.

Soweit es zu einem aggressiven Verhalten der Beklagten gekommen ist, so sei auch hier zur berücksichtigen, dass aggressive Verhaltensauffälligkeiten nicht untypische Erscheinungen einer Demenzerkrankung seien.

Eine Beweisaufnahme durch die von der Klägerin angebotenen Zeugen sei nicht notwendig gewesen. Das Verhalten der Beklagten habe sich in einem Rahmen bewegt, der von einem Pflegeheimbetreiber von demenzkranken Bewohnern und einer dem Heim angegliederten Demenzabteilung hingenommen werden müsse. 

Anmerkung

Nach Schätzungen leben in Deutschland rund 1,8 Millionen Menschen mit einer Demenz. Bis zum Jahr 2050 gehen die Statistiker davon aus, dass die Zahl auf voraussichtlich 2,8 Millionen steigt. Die Entscheidung zeigt, dass Demenzerkrankungen nicht nur pflegende Angehörigen belasten, sondern selbst Pflegeheimbetreiber vor erhebliche Herausforderungen stellt, den „Heimfrieden“ aufrechtzuerhalten.

Demenz und sonstige psychische Erkrankungen wie Alzheimer und Schizophrenie stellen letztlich die Gesellschaft und das soziale Miteinander vor große Herausforderungen. Ein Teil der Alltagsprobleme, die die Erkrankungen mit sich bringen, tritt durch den teilweise „großzügigen“ Einsatz von Neuroleptika noch nicht flächendeckend zu Tage.

Die Rechtsprechung zeigt aber auch auf, dass der Pflegeheimbetreiber nicht jegliches auffällige Verhalten eines Heimbewohners hinnehmen muss. Er hat Fürsorge- und Schutzpflichten auch gegenüber den Heimbewohnern und Arbeitnehmern. Insbesondere sexuelle Belästigungen stellen eine „rote Linie“ dar und können einen Kündigungsgrund darstellen. 

Pflegeheimbetreiber tun gut daran, ihre Arbeitnehmer, vor allem die Pflegedienstleitungen zu schulen und dahingehend zu sensibilisieren, Vorfälle zu melden. Hierbei kommt auch der Pflegedokumentation und deren Auswertung im Rahmen eines Gerichtsverfahrens eine entscheidende Bedeutung zu.

Bei strafrechtlich relevantem Verhalten sollte ein auf Strafrecht spezialisierter Anwalt hinzugezogen werden.

In der Entscheidung des OLG Hamm aus dem Jahr 2017 musste der Bewohner das von ihm bewohnte Zimmer der stationären Einrichtung am Ende des Verfahrens räumen.

Der Bewohner litt an einer hebephrenen Schizophrenie, Polytoxikomanie, Verhaltensstörungen, einer stark eingeschränkten Impulskontrolle und Steuerungsfähigkeit, einer erheblichen Minderung der Kritik- und Urteilsfähigkeit, fehlender Abstinenzfähigkeit, Denkstörungen und geringer Frustrationstoleranz.

Der Kündigungsgrund bestand darin, dass von dem Beklagten eine unzumutbare objektive Gefährlichkeit für das Wohl von Mitbewohnern und Mitarbeitern des Heimes ausging. Der Bewohner hatte nicht nur verbale Drohungen und Beleidigungen ausgesprochen, sondern Mitbewohnern und Mitarbeitern der Einrichtung Verletzungen angedroht und zugefügt.

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Wirtschaftliche und pragmatische Problemlösungen stehen dabei im Vordergrund. 

Autor

Michael Englert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht

Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn