Arbeitsrecht: Schadensersatz bei verspäteter Zielvorgabe
Zielvorgaben sind bei Führungskräften üblich. Wer als Arbeitgeber gar keine oder erst verspätet Ziele vorgibt, riskiert Schadensersatz, so das Landesarbeitsgericht Köln (LAG Köln, Urteil vom 06.02.2024 – 4 Sa 390/23).
Sachverhalt (verkürzt)
Der Kläger war bei der Beklagten vom 18.07.2016 bis zum 30.11.2019 als Head of Advertising tätig. Er war Mitarbeiter mit Führungsverantwortung. Im Arbeitsvertrag gab es unter der Überschrift „Vergütung“ folgende Regelung:
„4.1 Der Arbeitnehmer erhält für seine Tätigkeit ein Jahreszielgehalt in Höhe von EUR (…) bei 100% Zielerreichung. Das Zielgehalt setzt sich aus einem Bruttofixgehalt in Höhe von EUR (…) und einer variablen Vergütung in Höhe von brutto EUR (…) bei 100% Zielerreichung zusammen.
4.2 Die Ziele werden zunächst zeitnah nach Antritt der Beschäftigung und im Folgenden zu Beginn eines jeden Kalenderjahres vom Vorgesetzten definiert die Zieldefinition diesem Arbeitsvertrag spätestens 4 Wochen nach Arbeitsaufnahme als Anlage hinzugefügt.
4.3 Eine Unter- oder Übererfüllung der Ziele wird anteilig berechnet. Eine Übererfüllung der Ziele wird bis zu 200 % vergütet. Die Zahlung der variablen Vergütung erfolgt jährlich nach Abschluss eines Geschäftsjahres, spätestens im Februar des Folgejahres. […]“
Das Geschäftsjahr bei der Beklagten entspricht dem Kalenderjahr.
Mit E-Mail vom 26.09.2019 teilte der Geschäftsführer der Beklagten den Führungskräften, u.a. dem Kläger, Folgendes mit:
„Ende September 2019 und wir haben die Rahmenbedingungen für das diesjährige MBO final. Ich kann mich an dieser Stelle einfach nur entschuldigen und für das kommende Jahr Besserung geloben.
Für 2019 haben wir jetzt folgende Parameter definiert:
– Umsatz
– E
– Individuelles Ziel für alle 142%“
Streitig ist zwischen den Parteien, ob ihm bereits vor dem 26.09.2019 die für seine variable Vergütung maßgeblichen Parameter im Hinblick auf die Unternehmensziele mitgeteilt wurden. Individuelle Ziele waren nicht vorgegeben worden.
Der Kläger kündigte das Arbeitsverhältnis zum 30.11.2019. Er macht Schadenersatz wegen einer verspäteten Zielvorgabe gegenüber dem früheren Arbeitgeber geltend.
Der Kläger ist der Meinung, die Vorgabe der Unternehmensziele für 2019 sei verspätet, formell unwirksam und ermessensfehlerhaft erfolgt. Aus dem Gesichtspunkt des Schadenersatzes sei von einer Zielerreichung im Hinblick auf die Unternehmensziele von 100 Prozent auszugehen.
Die Beklagte behauptet, die maßgeblichen Unternehmenskennzahlen seien bereits am 26.03.2019 im Rahmen einer Präsentation, an welcher der Kläger teilgenommen habe, mitgeteilt worden. Erneut seien diese im Heads Meeting am 16.04.2019, an dem der Kläger ebenfalls teilgenommen habe, hinsichtlich Umsatzziel und E-Ziel mitgeteilt worden. Die vorgegebenen Unternehmensziele seien realistisch und ex ante erreichbar gewesen. Der Kläger habe daher keinen Anspruch auf Schadensersatz.
Entscheidung
Anders als noch das Arbeitsgericht Köln gab das Landesarbeitsgericht Köln dem Arbeitnehmer recht.
Ein Schadenersatzanspruch bestehe. Der Arbeitgeber habe eine Pflicht verletzt, da er dem Arbeitnehmer nicht rechtzeitig eine Zielvorgabe für das Geschäftsjahr gegeben habe. Der hierdurch entstandene Schaden habe der Arbeitgeber zu ersetzen.
Wenn der Arbeitgeber eine Zielvorgabe erst zu einem späten Zeitpunkt innerhalb des maßgeblichen Geschäftsjahres festlegt, kann diese die Anreizfunktion für den Arbeitnehmer nicht mehr sinnvoll erfüllen. Dann sei dies so zu behandeln, als sei die Zielvorgabe überhaupt nicht erfolgt. Das sei bei einem bereits zu mehr als drei Vierteln abgelaufenen Geschäftsjahr der Fall gewesen. Die Zielerreichung sei für den Arbeitnehmer zu diesem späten Zeitpunkt unmöglich gewesen.
Die Anreizfunktion sei nicht deshalb ausgeschlossen, dass die unterlassene Zielvorgabe unternehmensbezogene Ziele betreffe, auf die der Arbeitnehmer weniger Einfluss gehabt hätte als auf die Erfüllung persönlicher Ziele. Argumentiert haben die Kölner Richter damit, dass Mitarbeiter auf hohen Hierarchieebenen in gewissem Maß auch EInfluss auf die Unternehmenskennzahlen hätten. Dies spiegele sich auch in der Ausgestaltung der Zielvereinbarung, hier dem Anteil der variablen Vergütung wider.
Das LAG Köln hat sich bei der Schadensberechnung an der in der Zielvereinbarung definierten Zielerreichung von 100 Prozent orientiert.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig. Die Revision wurde zugelassen (BAG Az. 10 AZR 57/24).
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Unsere Leistungen im Arbeitsrecht umfassen sowohl die einzelfallbezogene arbeitsrechtliche Beratung als auch die laufende Beratung von Unternehmen. Ferner entwickeln wir arbeitsrechtliche Unternehmensstrategien und setzen diese um.
Autor
Michael Englert
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Arbeitsrecht
Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht
Der Autor ist Associate der Anwaltskanzlei Pfefferle Helberg & Partner in Heilbronn